RATTENPLAGE

Als die Eisenbahn nach Gilching kam...

gab es entlang des Bahnwegerls eine richtige Rattenplage

RATTEN BEGLEITEN REISENDE
Gilching – Die Gemeinde Gilching wird sich verändern. Der Zuzugs-Boom ist längst eingeleitet. Zu den derzeit 18700 Einwohnern sollen im Laufe der nächsten fünf bis zehn Jahre weitere 1500 auf der so genannten Gilchinger Glatze dazu kommen. Außerdem ist geplant, die Sonnenstraße von der Dornier-Siedlung den Starnberger Weg querend entlang der S-Bahn-Linie bis hin zum Bahnhof zu verlängern. Angefangen jedoch hat die Entwicklung bereits im Jahre 1903 mit der Eröffnung Eisenbahnbahnstrecke Pasing-Herrsching. Dass mit der Erschließung der Bahn nicht immer positive Erinnerungen verbunden sind, ist unter anderem in den Aufzeichnungen des Chronisten Rudi Schicht nachzulesen. Ein Verdrussobjekt durch Jahrzehnte hindurch sei beispielsweise das Bahnwegerl zwischen dem Bahnhof Gilching und der Unterführung Landsberger Straße gewesen. Nach dem Bau der Eisenbahn nämlich entdeckten die Städter das Land und stürmten es zu Hauff. Für findige Grundstücksbesitzer ein gute Gelegenheit, Geschäfte zu machen. Melchior Fanger, Zimmermeister von Gilching, nutzte das neue Landerlebnis und verkaufte zusammen mit anderen Waldbesitzern peu a peu den Wald zwischen der Landsberger Straße und dem Unterbrunner Holz an Wochenendeausflügler.
Lebensmittel per Postkarte bestellt
Eine neue Siedlung entstand. Um versorgt zu sein, schickten die Städter anfangs der Woche eine Postkarte mit einer Aufzählung der benötigten Lebensmittel an den örtlichen Kramer, der zufällig auch Krammer hieß. Der Sohn der Kramerin, Hans Krammer (von 1956 bis 1972 Bürgermeister von Gilching), lieferte sie dann am Wochenende an die Ausflügler aus. Um nach der Bahnfahrt von München aus schnellstmöglich in ihre Wohnbehausungen zu gelangen, nahmen die „Neugilchinger“ nicht den eigentlichen Weg über Römer- und Landsberger Straße, sondern stapften samt Kind und Kegel und viel Gepäck auf einem ausgetretenen Trampelpfand entlang des Bahngleises – das heutige Bahnwegerl - Richtung Waldkolonie.
Ein grausliger Weg entlang der Bahn
Ab 1938, nach dem Bau des Flughafens Oberpfaffenhofen, kamen dann noch die Bewohner der neuen „Dornier-Siedlung“ hinzu. Regnete es, stand den Bahnreisenden ein beschwerlicher Weg durch einen völlig verschlammten Pfad bevor. Weil es Beschwerden hagelt, wurde letztendlich in Zusammenarbeit mit dem Grundstücksbesitzer ein mehr oder weniger befestigter Fußweg gebaut.
Erneut Ärger um den Bahnweg gab es nach Ende des Zweiten Weltkriegs. Gilching zählte täglich 1500 Auspendler. Der etwas bessere Trampelpfad, damals noch unbeleuchtet, hielt der Belastung nicht mehr stand. In der Kiesgrube entlang des Weges aber, den Kies hatte man für den Bau des Bahndamms entnommen, siedelten sich riesige Rattenkolonien an. Ein besonders grausliges Spießrutenlaufen für diejenigen, die nächtens oder gar in der frühen Morgendämmerung vorbei an den ganz und gar nicht scheuen Nagern mussten.
Erst 1959 ging der Bahnweg, auf dem künftig die Verlängerung der Sonnenstraße vorgesehen ist, in das Eigentum und damit auch in die Verantwortung der Gemeinde über. Inzwischen ist die Eisenbahn eine S-Bahn geworden und eine zweite Haltestelle, „Neu-Gilching“, dazu gekommen. Der mittlerweile asphaltierte Trampelpfad aber erinnert schon lange nicht mehr an den früheren Zustand. Und dort, wo in der Kiesgrube einst die Ratten ihr Unwesen trieben, ist heute eine 15 Hektar große landwirtschaftliche Fläche, deren Bebauung nun unter Dach und Fach ist. Zwar sollen sich anstatt der Ratten inzwischen Feldmäuse die Zeit vertreiben. Ihre natürliche Nahrung aber wird durch Wohlstandsmüll wie Reste von Pizzas und Hamburgern ergänzt. Doch von einer Ratten- oder Mäuse-Plage kann längst nicht mehr die Rede sein.Quelle: „Heimatbuch - Sowieso und Nirgendwo“