Müting Hella

Hella Müting aus Gilching

Gilching – Als Hella Müting aus Gilching am 16. September 1912 in Stettin (Hinterpommern) das Licht der Welt erblickte, war es Kaiser Wilhelm II., der Deutschland regierte. Es waren unruhige Zeiten, die schon zwei Jahre später im Ersten Weltkrieg mündeten. „Es kam die Inflation und die Hungerszeit“, erinnert sich die rüstige Rentnerin. Der Vater sei Schulleiter gewesen und musste schauen, wie er seine acht Kinder einigermaßen satt bekam. „Luxus war, wenn wir eine Schiebewurst und einen Morgentrank aus Rüben bekamen.“ Schiebewurst? „Ja, es handelte sich um eine kleine Scheibe Wurst, die auf das Brot gelegt wurde. Bevor wir aber reinbissen, schoben wir mit der anderen Hand die Wurstscheibe immer ein Stücken weiter. So lange, bis sie am Ende der Brotscheibe angekommen war. Erst dann wurde die Wurst mitgegessen. So hatten wir wenigstens ein paar Bissen lang den Geschmack von Wurst.“ Doch ein Kind von Traurigkeit sei sie nie gewesen. Als junges Mädchen trat sie in den Stettiner Ruderverein ein und nahm auch an diversen Wettbewerben teil. „Oft sind wir auf der Oder bis nach Berlin gerudert. Ja, wir waren damals auch schon mal modern“, schmunzelt Hella Müting in Erinnerung an alte Zeiten. Ursprünglich hatte sie Jura studiert. Doch nur ganz kurz. Die Liebe kam dazwischen. Sie heiratete einen evangelischen Theologen, von dem sie zwei Kinder bekam. „Es war aber mehr eine Urlaubsehe. Leider ist mein Mann während des Zweiten Weltkriegs gefallen.“ Aufgrund der Beschlüsse der Alliierten im Potsdamer Abkommen wurde Hinterpommern außerdem 1945 unter polnische Verwaltung gestellt und die deutsche Bevölkerung vertrieben. „Ich musste mit meinen zwei Kindern fliehen“, erzählt die 103-Jährige. Von Hinterpommern ging es nach Vorpommern, wo sie zufällig auf eine ihrer Schwestern traf, weiter unter Bombenhagel durch Hamburg bis nach Göttingen. Dort ist die Familie bei einem kinderlosen Onkel untergekommen. „Das ging nicht lange gut. Der Onkel hatte keinerlei Verständnis für Kinder. Als mein Fünfjähriger ganz begeistert vorführte, dass er Pfeifen kann, wurde er arg beschimpft. Pfeifen war verpönt und das unanständigste, was es gibt.“ Hella Müting und ihre zwei Kinder zogen weiter nach Helmstett. Sie machte ein sechsmonatiges Kurzstudium und verdiente forthin als Lehrerin den Lebensunterhalt. Es gab auch einen zweiten Ehemann, von dem sie drei Kinder bekam, doch auch diese Ehe hielt nicht lange. „Er war sehr kreativ, aber geschäftlich unfähig. Ich ließ mich scheiden und brachte mich und meine fünf Kinder alleine durch.“ Die große Liebe aber kam im Alter. „Gaston hatte ich im Senioren-Sportverein in Aachen kennen gelernt. Wir hatten zehn Jahre lang eine sehr schöne Zeit. Leider ist er schon lange tot.“ 2009 übersiedelte Hella Müting auf Wunsch ihrer Tochter, die in Wörthsee zu Hause ist, ins Betreute Wohnen nach Gilching. „Es musste sein, weil ich nicht mehr so fit bin. Es gefällt mir aber sehr gut hier. Wir haben einen netten Kreis und treffen uns regelmäßig zum Kaffeekränzchen oder zum Kartenspielen.“ Zu ihrem 100sten hat sie übrigens zu einem großen Fest eingeladen und eine humorvolle Rede gehalten. Sie ist außerdem bestens über die aktuelle Entwicklung in Gilching informiert. Nicht aus der Zeitung, sondern aus erster Hand. „Zum Geburtstag besucht mich jedes Jahr Bürgermeister Manfred Walter und der erzählt mir dann alles.“ Uli Singer